Die Kirche trug den Namen „Sankt Laurentius“. Der heilige Laurentius war ein Märtyrer und ein bisschen kamen wir uns auch so vor. Da Helle-Lene nicht mehr weiter konnte, blieben wir auf einer Bank vor der Kirche sitzen. Helle-Lene sprach bereits wirr im Fieberwahn und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich keine Vorstellung davon, wie es jetzt weitergehen sollte. Ich könnte sie hier sitzenlassen in der Hoffnung, dass ein guter Christ sich ihrer annehmen würde. Ich könnte zurück zu meinem Ziehvater wandern und ihm mein Abenteuer erzählen. Aber das wäre irgendwie nicht richtig und es sollte auch ganz anders kommen. Gerade als ich diesen Gedanken nachhing, hielt vor der Kirche ein Pferdefuhrwerk. Ein gebeugter Mann saß vorne drauf und sah zu uns herüber. „Kinder sollten an Tagen wie diesen nicht allein herumstromern!“, sagte er bedächtig. Die Zeiten seien schlimm und viel Gesindel treibe sich herum.
Ich dankte ihm für seine Aufmerksamkeit und wies auf das kranke Bündel an meiner Seite. „Helle-Lene ist sehr krank. Ich glaube, sie stirbt!“, flüsterte ich leise. Der Alte verstand mich trotz der gesenkten Stimme. „Lass uns mal sehen, was wir tun können!“, sagte er und er ließ Helle-Lene und mich aufsitzen. Das alte Pferd trug mindestens so viele Jahre wie der Mann und wir kamen kaum schneller vorwärts als auf unseren eigenen Beinen, aber Helle-Lene musste nicht mehr laufen. Ihr Kopf fiel zur Seite auf meine Schulter und sie schlief ein.
Als der Pferdewagen zum Stehen kam, sah ich, dass wir vor einem kleinen Fachwerkhaus hielten. Das Haus war bescheiden, doch umrahmt von einem ordentlichen Garten und dahinter liegenden Feldern. Der alte Mann hievte sich von seinem Sitz und wies mich an, ihm zu folgen. Es war schwer, Helle-Lene wach zu bekommen, aber es ging und so führte ich sie im benebelten Zustand hinter dem alten Mann in das Haus. Drinnen brannte im Ofen ein munteres Feuer und es war wohlig warm. Eine Frau, etwa im Alter des Mannes, kam uns vom Alter und vom Leben gebeugt entgegen. Ihr Blick fiel gleich auf Helle-Lene, die sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. „Mein armes Täubchen!“, rief die Frau aus und half mir, das Mädchen in die Kammer hinter dem Ofen zu führen, wo Helle-Lene auf das Bett sank und schlief, als sei sie gestorben. Das alles geschah am 5. April 1849 und eigentlich wollte ich an diesem Abend wieder in meinem Zuhause sein.
Das Haus, in das Ivens und Helle-Lene gebracht wurden, wurde im Februar 1864 wie fast der ganze Ort zerstört, als die Preußen im Deutsch-Dänischen Krieg, dem ersten der sogenannten Einigungskriege, im Nebel das eigentliche Ziel ihrer Artillerie − die dänischen Schanzen − verfehlten.
Kurze Zeit später hat die Gutsherrin von Ornum, Julie Mylord, zu deren Gut der Ort, den wir suchen, gehörte − wohl mit preußischer finanzieller Unterstützung − alles wieder aufbauen lassen.
Aus Dankbarkeit für diese Fürsorge wurden dabei zur Erinnerung an vielen Häusern Ihr Monogramm und die Jahreszahl angebracht und manchmal auch noch Kanonenkugeln mit eingemauert.
Findet ein solches Haus!
Solche Gefechte wie das, von dem oben die Rede war, gehen oft um einen strategisch wichtigen Ort, wie zum Beispiel eine Gewässer−Querung oder −Engstelle.
In diesem Fall ging es um die Engstelle der Schlei bei Missunde, wo auch heute noch eine Fähre verkehrt.
In diesem Gefecht von Missunde sollte das dänische Danewerk durchbrochen werden.
Um ein Haus mit eingemauerten Kanonenkugeln zu finden, müsst Ihr rechts in den Ort abbiegen.
Dort wo Ihr abbiegt, gibt es auch ein Hünengrab zu sehen.