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Kapitel 12

Helle-Lene Styggen

Anker der Christian VIII. in der Mauer von St. Nicolai Der Anker, den Ihr hier eingemauert seht, steckte, als ich hier ankam, noch im Schlick der Eckernförder Bucht und hielt das dänische Flaggschiff Christian VIII. an seiner Position außerhalb der Reichweite der Geschütze der Landbatterien.

Ich trat ein durch das imposante Portal. Es war dunkel, ich hörte meinen eigenen Atem, aber sonst nichts. Ich drehte mich mehrmals um  − es war niemand da, schien mir, und doch fühlte ich mich nicht allein! Ich setzte mich in die hinterste Reihe des hölzernen Gestühls und betrachtete staunend, wovon mir Pastor Eler schon erzählt hatte: Den Altar, die Kanzel, die Epitaphien, ..., alles Werke der berühmten Holzschnitzer Hans Gudewerdt, dem Älteren und dem Jüngeren, wie sie genannt werden müssen, weil offenbar der Vaterstolz den Zweck der Namensgebung, Personen unterscheiden zu können, überwogen hat.

Sehr beeindruckend! Aber ich durfte mich nicht ablenken lassen! Was tun? Ivens, denk nach!

Der Druck zum Handeln wurde mir abgenommen, als eine kleine Gestalt durch die Tür ebenfalls in die Kirche trat. Sie trug einen schweren, dunklen Umhang, der fast bis auf den Boden reichte und eine Kapuze hatte, die tief ins Gesicht gezogen war.

Die Gestalt drehte sich um, wie ich offenbar darauf bedacht, jemanden zu finden, den sie nicht kannte. Ich nahm meinen Mut zusammen: “Freund oder Feind?“, wisperte ich aus der letzten Reihe und eine klare, helle Mädchenstimme antwortete: „Freund, wem der Freund gebührt!“

Sie schlug die Kapuze zurück und ich blickte in die klaren, blauen Augen eines Mädchens, knapp jünger als ich.

Ich war wie vom Donner gerührt. Ich sollte einen Mann treffen, einen vortrefflichen Kämpfer, einen geübten Strategen und eingeweihten Agenten, der jetzt und an dieser Stelle durch meinen Messergriff die Botschaft erhalten sollte, die nur ihm zu deuten war und aus der er die notwendige Handlung ableiten konnte, um die anstehenden, bedrohlichen Gefechte zu vereiteln.

Ich trat auf sie zu und wie, um mich von der Wirklichkeit der mir gegenüberstehenden Gestalt zu überzeugen, tippte ich Ihr sanft an die Brust. „Du bist ein kleines Mädchen!“, stammelte ich. Sie tat einen gezielten Griff in meinem Schritt und stellte mit fester Stimme fest: „Du bist ein sehr kleiner Junge!“ – was zwar stimmte, mich in dieser Lage aber ebenso überraschte wie kränkte.

Da standen wir nun und es erschien mir angebracht, mich vorzustellen: „Ich bin Ivens Eibe-Lund und habe einen Gegenstand zu überreichen!“.

„Grundgütiger!“, hauchte das Mädchen, „Sage mir nur nicht, woher du kommst und wer dich schickt! Du bist wohl nicht sehr erfahren in diesen Dingen? Geheim sollte alles bleiben, was zu verheimlichen möglich ist! (Heute sprechen wir über Datenschutz und Datensicherheit, aber davon in einer anderen Geschichte.) Aber nun gut – wir sind offenbar verbunden in dieser Sache: Ich bin Helle-Lene Styggen.

Wir ließen uns auf die Holzbank sinken und fassten die Lage zusammen. Helle-Lene hatte ihren Vater ein Jahr zuvor in der Schlacht von Sundeved verloren. Ihr deutscher Vater hatte den Hof seiner verstorbenen dänischen Frau bewirtschaftet und mit Politik nichts zu tun gehabt. „Er fühlte sich weder als Deutscher noch als Däne und schon gar nicht als Soldat. Er wollte nicht kämpfen, aber der dänische König meinte, wer eine Waffe tragen und auf dänischem Gebiet leben könne, sei auch verpflichtet, sein Königreich als das einzig wahre zu verteidigen!“. So wurde ihrem Vater seine natürliche Haltung, seine Menschlichkeit genommen, er wurde zwangsrekrutiert und fiel auf dem Schlachtfeld am 27. Mai im Jahr zuvor. Ihr Hass auf den dänischen König war so groß, dass sie schnell Kontakt zu Deutsch Gesinnten suchte und fand. Sie durfte auf dem Hof eines sonderburgischen Herren arbeiten, der offen mit den Antidänen kollaborierte. So fand sie ihren Weg in die geheime Mission. „Weißt du, es rechnet ja niemand damit, ein kleines Mädchen als Saboteur vorzufinden. Ich selbst bin meine beste Tarnung!“ Ich erinnerte mich an die Worte von Pastor Eler und empfand so etwas wie Dankbarkeit dafür, dass ich mit meiner Tarnung, die mir so schwach und durchschaubar vorkam, gar nicht allein war.

Wir überlegten, was zu tun sei, nachdem wir das Messer, dass Helle-Lene Styggen mit sich führte, auf den von mir bewahrten Griff aufsetzen konnten. Es passte wie angegossen. Niemand hatte uns vorbereitet, niemand einen Plan mitgeteilt. Und wieder rief ich mir die Worte von Pastor Eler in den Sinn: „Du bist bitzeplietzsch!“. Also war wohl selbst denken angezeigt! Wir wollten im besten Fall ein Gefecht und damit Blutvergießen und Tod, im zweitbesten einen Sieg der überlegenen dänischen Flotte verhindern. Wie konnte dies gelingen?

Die stolzen Schiffe lagen bereits auf Reede, der kalte Wind kam aus dem Osten. Man würde die Schiffe in die Bucht bringen müssen, um die Kanonen in Stellung zu bringen und dann dafür sorgen, dass die Flotte, durch Naturgewalt in die Bucht gedrückt, wieder heraus käme auf die offene See. „Helle-Lene Styggen, kennst du dich mit Seefahrt aus?“, fragte ich meine Komplizin und sie schüttelte betrübt den Kopf. Ich kenne nur den dänischen Plan, sagte sie bitter. Sie werden im Morgengrauen die Schiffe so ausrichten, dass sie die Schanzen und die Stadt in Schutt und Asche legen können und dann die Bucht wieder verlassen. Darum haben sie zur Sicherheit die Dampfschiffe mitgebracht. Sie sollen die Schiffe aus der Bucht schleppen. Einlaufen − schnelles, siegreiches Gefecht  − Rückzug – das ist Ihr Plan.“ Ich stellte mir das Szenario vor und dachte nach … und noch einmal … und noch einmal … und auf einmal erschien mir doch alles ganz leicht und schlüssig. „Ich weiß jetzt, was unser Auftrag ist. Wir müssen dafür sorgen, dass sie sich nicht so gut aufstellen können, wie es nötig ist, um die Schanzen zu zerstören. Dafür brauchen wir einen Gehilfen. Und dann sorgen wir beide dafür, dass ihnen der Rückzug nicht gelingen kann. Wenn wir Glück haben, erkennen sie die Gefahr und ziehen sich kampflos zurück. Gott stehe uns bei!“. Helle-Lene Styggen sah mich fragend an und ich winkte Ihr, mir zu folgen. „Aber wir sind ganz allein! Wer ist unser Gehilfe?“, fragte das Mädchen deutlich unsicher. Ich blickte sie fest an und sagte: „Der Wind, Helle-Lene. Der kalte Ostwind wird heute mit uns sein!“

Helle-Lene Styggen und ich eilten an den Hafen, an die Stelle, die Ihr später als Hafenspitze kennen werdet. Ein paar kleine Fischerboote lagen dort und auch das, was ich erhofft hatte. Ein Ruderboot. So klein wie es war, trug es doch einen Namen: „Hanni“ stand am Bug. Und sogar der Heimathafen war am Heck aufgemalt!

Trefft Ivens und Helle-Lene an der Hafenspitze!

Es gibt dort einen blau-gelb angestrichenen Leuchtturm, der nicht mehr in Betrieb ist.

Euer Weg zum blau-gelben Leuchtturm

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Deutsche Leuchtfeuer