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Kapitel 1

Ivens Eibe-Lund

Es war der 4. April 1849, der Mittwoch vor Gründonnerstag.

Pastor Eler war ganz in seinem Element − die Vorbereitungen für das Osterfest banden seit Wochen schon seine Kräfte. Er kam kaum aus seiner Schreibstube heraus und wenn doch, dann hielt er sich nicht, wie üblich, im Pastorat oder in der Kirche auf, sondern machte lange Spaziergänge mit fremden Menschen, die ihm offenbar dabei halfen, über seine Predigt nachzudenken. Sie waren mir fremd und sprachen flüsternd. Nur wenn er allein war, nahm er mich mit.

Entschuldigung, ich habe mich noch nicht vorgestellt: ich bin Ivens Eibe−Lund, 13 Jahre, halb Däne – meine Mutter kam aus Hoyer hinter dem dänischen Deich, ganz im Westen an der Grenze zwischen Dänemark und Deutschland, wie Ihr sie heute kennt. Mein Vater war ein Landarbeiter deutschen Ursprungs auf Gut Wulfshagen, also bei Cheddörp, von wo aus meine Geschichte ihren Anfang nimmt.

Meine Mutter starb – Ihr ahnt es schon – im Kindbett; mein Vater an Auszehrung durch zu viel und zu harte Arbeit. Ein Heldentod auf einem der schleswig−holsteinisch−dänischen Schlachtfelder blieb ihm erspart, was angesichts der herrschenden Umstände schon fast seltsam war. Denn es herrschte Krieg:

1848 war das Jahr der deutschen Revolution. In den Herzogtümern Schleswig und Holstein kam es zur Erhebung gegen den dänischen Staat. Bis 1851 kämpften die „Schleswigholsteiner“ (noch ohne Bindestrich) mit und ohne fremde Hilfe gegen das Königreich. „Wir wollen keine Dänen sein, wir wollen gute Deutsche bleiben!“ schrieben sie in einem offenen Brief 1848 an den dänischen König. Der hielt aber von guten Dänen offenbar deutlich mehr als von guten Deutschen. Überall brodelte es.

Den Schleswig−Holsteinern stand seit dem 15. Jahrhundert eine königlich verbriefte Einheit und Unabhängigkeit vom dänischen Gesamtstaat zu. Der dänische König war davon beseelt, dieses Recht zu brechen und die stolzen Herzogtümer ganz dem dänischen Königreich einzuverleiben. Ihr könnt euch denken, dass dies nicht dankbar empfangen wurde. Soweit zur Vorgeschichte − davon kann euch meine Biographin gerne bei Bedarf noch mehr erzählen. Heute geht es um den 4. April 1849 − den Tag, an dem meine Heldensaga beginnt.

Pastor Eler war ein guter, toleranter Mann − ein Philantrop und doch auch durch und durch Patriot, ein herzensguter Pazifist und ein ehrlicher Mensch − einzeln und für sich genommen schon honorabel, aber alles zusammen durchaus untypisch für einen Kirchenmann. Seit ich ohne Eltern war, lebte ich bei ihm, ging ihm bei den Arbeiten und der Bewachung des Pastorats zu Hand, war ihm ein guter Gesprächsfreund in Philosophie und Politik − wohl, weil er sonst keinen hatte − und teilte seine Begeisterung für Erdbeeren, die im Frühsommer im opulenten Garten des eindrucksvollen Pastorats gediehen. Leider stand dieses Pastorat unter keinem guten Stern − immer wieder fiel es im Laufe der Jahre plündernden Soldaten zum Opfer und einem Haus ist es egal, ob es von Deutschen, Dänen oder Schweden niedergebrannt wird. Stoisch wurde das Haus so oft wieder aufgebaut, wie es zerstört wurde und Pastor Eler wollte so gut es ging dafür sorgen, dass es stets in einem guten Zustand war − voller Hoffnung, dass es den nächsten Ansturm überstehen würde. 1849 waren wir immer noch dabei, die große Scheune wieder zu errichten; diese war zuletzt Opfer des Feuers geworden.

„Du bist ein guter Junge, Ivens“, sagte der Pastor oft zu mir. Ein guter, tüchtiger Junge und Donner noch mal: plietzsch!“. Er lehrte mich lesen und schreiben, unterwies mich in Geschichte und Mathematik, so dass ich mich hinter vorgehaltener Hand durchaus zum Bildungsbürgertum zählen konnte. Wenn auch nur im Geheimen. Ich schätzte im Gegenzug die gute Behandlung, die ich vom Pastor erhielt, ebenso wie die von Else, seiner Haushälterin, die mich mit reichlich gutem Essen versorgte. Die Tatsache, dass ich dennoch recht mickrig war für meine 13 Jahre, bereitete Ihr Kummer. „Der Junge muss krank sein oder einen Wurm haben“, trug sie regelmäßig dem Pastor vor, „er nimmt nicht zu und sieht immer blass und schäbig aus, wie ein Knabe aus dem Armenhaus“. Aber der Pastor blieb hinsichtlich meiner Gesundheit optimistisch und blickte fast zärtlich auf mich, den schmächtigen Knaben in den kurzen Hosen, herab. „Es wird der Tag kommen, liebe Frau Else, an dem wir seine schmächtige Statur wertschätzen und Gott dafür danken werden, dass er ist, wie er ist! Flink, zäh und blitzgescheit.“

Dieser Tag schien an jenem 4. April 1849 gekommen.

Um zu erfahren, was an jenem Tag geschah, müsst Ihr eure Tour ein kleines Stück fortsetzen.
Begebt euch zu einem der − wenn nicht dem ältesten und höchsten Gebäude in Gettorf.
Es wurde um die Zeit herum fertiggestellt, als Columbus Westindien entdeckt hat!
Es ist so hoch in Metern wie das letzte Jahrhundert Jahre hatte, als der Webmaster dieser Seiten geboren wurde.

Columbus hat 1492 geglaubt, Indien auf westlichem Kurs erreicht zu haben.
Der Webmaster ist 1964 geboren.
Die Geschichte hat mit Pastor Eler begonnen. Wenn nicht gerade in seinem Arbeitszimmer im Pastorat,wo arbeitet er dann wohl?

Die Geschichte geht weiter bei der Gettorfer Kirche St. Jürgen.
Ihr findet sie hier.
Lage der Kirche "St. Jürgen" in Gettorf Kirche "St. Jürgen" in Gettorf
Weitere Informationen zur Kirche:
Wikipedia
Gemeinde Gettorf − Historisches Wandern
Kirchengemeinde