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Kapitel 4

Feindberührung

„Du bist blitzplietzsch!“, hatte Pastor Eler zu mir gesagt, aber es ist meist schwierig, unter Druck zu denken. Die Zeit saß mir im Nacken und ich hatte Angst, zu lange zum Lösen des Zahlen-Buchstaben-Rätsels zu brauchen. Als es dann getan war, legte ich im Laufschritt die nächsten Kilometer meines Wegs zurück. Immer wieder fragte ich mich, ob Pastor Eler wirklich in Gedanken bei mir und Gott mit mir war. Aber je länger ich lief, desto mehr konzentrierte ich mich auf meine Schritte, denn wo viele Jahre später eine gepflasterte Straße entlangführen und diese von sogenannten Strommasten gerahmt werden sollte, war zu meiner Zeit noch nichts als Geröll auf einem Trampelpfad.

Zu der Zeit, als ich diesen Weg schnellstmöglich entlangstolperte, befand sich der Seconde-Lieutnant der preußischen Artillerie, Werner Siemens, in Eckernförde in höchster Alarmbereitschaft. Er war für die Ausrüstung der Schanzen in Eckernförde verantwortlich und sah in diesen Stunden keine Möglichkeit mehr zur Verbesserung der Situation. Es war alles getan. Die Arbeiten waren abgeschlossen. In dieser Zeit des Ausharrens und Wartens auf das, was kommen würde, waren Siemens‘ Nerven zum Zerreißen gespannt. An Schlaf war nicht zu denken. Er versuchte sich mit Gedankenspielen abzulenken: Strom − dieses großartige Phänomen war so schwer zu bändigen und zu zähmen wie ein wildes Pferd. Schon lange beschäftigte sich der talentierte Mann mit den elektrischen Kräften und erkannte darin für sich einen Ort der Konzentration und produktiven Ideen. Wie Strom zähmen und lenken? Wie die unheilvollen Drähte, die so viele Gefahren wie Vorteile boten, ungefährlich machen? Wie sie isolieren? Ganz in diesen Gedanken gefangen, verbachte Werner Siemens die ersten Stunden der Nacht. Und so fanden zwei Männer in diesen Stunden keine Ruhe und keinen Schlaf. Der eine um den Sieg laufend, der andere die Isolation von Stromdrähten erfindend.

So erreichte ich Niedörp, eine kleine Häuseransammlung. Der Ort bestand überwiegend aus Höfen, die sich um diesen Häuserklumpatsch reihten. Hier kannte ich mich nicht aus, denn außer Arbeit auf den Feldern gab es hier nichts und diese zieht einen Jungen wie mich nicht freiwillig an. Ich blieb kurz stehen, um mich zu orientieren und den nächsten Hinweis zu suchen. Eine kleine Baumgruppe sollte ich suchen, eine Holzbank, eingehegt in eine Weißdornhecke. Ich sah die Weißdornhecke und schlich mich von hinten an den beschriebenen Ort heran. Zu meinem Entsetzen war die Holzbank belegt. Zwei Männer tuschelten dort miteinander. Ich konnte im schwachen Licht nicht ausmachen, wie sie gekleidet waren, aber ich konnte sie belauschen und dank meiner dänischen Mutter hörte ich nicht nur, dass sie sprachen: ich verstand es auch! − Ich geriet in eine Schockstarre! − Dänisch! „De sender en spion“ − kein Zweifel, das war Dänisch. „Han vil forsøge at sabotere det” − und was noch schlimmer war: Sie sprachen über mich! Die Seite des Feindes wusste offenbar Bescheid und man war mir schon auf den Fersen. Sie blockierten meinen einzigen Zugang zum nächsten Hinweis − ich hatte keine Zeit zu verlieren und befand mich doch in allergrößter Gefahr und mit mir die ganze Region! Ich überlegte blitzeschnell. Wie eine Katze zog ich mich zurück − nein, sie hatten mich nicht gehört − und lief die einzige Straße im Ort entlang bis zum nächsten Hof und diesmal war Gott mit mir. Die Knechte des Hofes hatten es sich vor der Scheune bequem gemacht, genossen ihre Tabakspeifen und tranken wohl einen selbstgemachten Kartoffelschnaps für einen geruhsamen Schlaf. Ich legte an Tempo zu, kam rennend auf sie zu, bedeutete ihnen, still zu sein. ”Meine Herren”, wisperte ich in höchster Aufregung. Der dänische Feind ist inmitten unseres Ortes. Zu zweit sind sie und treffen sich im Schutz der Weißdornhecke und schmieden in ihrer Mutter Sprache arglistig Pläne, uns zu bedrängen” − hastig wies ich in die Richtung, aus der ich kam, und hoffte, dabei blass und furchtsam auszusehen. Meine List gelang. Die ebenso kräftigen wie angetrunkenen Männer ließen sich nicht zweimal bitten. Sie griffen nach Mistgabeln und Forken und rannten wie eine Mannschaft den beiden Dänen entgegen. Mein Plan ging auf; als ich Ihr wütendes ”Bliev stahn, hör Drecksäcke!” hörte, war klar, dass sie die Fliehenden verfolgten. Mein Weg war frei. Und dort, wo nach den Weltkriegen ein Ehrendenkmal stehen wird, fand ich unter der Bank versteckt meinen nächsten Hinweis.

Findet die Stelle, von der Ivens gerade erzählt hat!
Die Chaussee, deren Namen der Code aus dem letzten Rätsel euch gewiesen hat, beginnt an einem kleinen, dreieckigen Dorfplatz.
Geht zu einer anderen Ecke dieses Platzes und gedenket der Gefallenen der Weltkriege!
Sie werden euch den Weg weisen, wenn Ihr später in der Richtung unschlüssig seid.
Merkt euch deswegen die Extremwerte der Jahreszahlen auf den Gedenksteinen!

Die Gedenksteine befindet sich an der Südspitze des Dorfplatzes.
Openstreetmap-Karte des Dorfplatzes von Neudorf mit der Position der gesuchten Gedenksteine

Gedenkstein für die Neudorfer Gefallenen des Ersten Weltkriegs Gedenkstein für die Neudorfer Gefallenen des Zweiten Weltkriegs
Die kleinste Jahreszahl ist 14, die größte ist 45.